Zwischen dem StuRa und dem Oberbürgermeister hat sich inzwischen ein kleiner, öffentlicher Briefwechsel entwickelt. Grundlage ist der Offene Brief zum Radverkehr in Leipzig, der auf Initiative des StuRa im vergangenen Oktober an den Stadtrat übergeben wurde. Auf der StuRa-Seite können alle bisherigen Briefe nachgelesen werden.
Das aktuellste Schreiben des Oberbürgermeisters (PDF, 1,3 MB) hat es dabei in sich, behauptet er doch, die Stadt habe sich in der Regel an die StVO-Novelle von 1997 gehalten:
Mit der StVO Novelle 1997 haben sich Festlegungen zu den Führungsformen des Radverkehrs zwar gelockert, es waren aber dennoch bindende Einsatzkriterien genannt, die von der Verwaltung, sowohl bei der Auswahl der geeigneten Führungsform als auch bei der Festlegung der Benutzungspflicht, in aller Regel eingehalten wurden. Erst mit der StVO 2009 und deren Verwaltungsvorschrift sind umfassendere Möglichkeiten gegeben, zum Radweg alternative Radverkehrs-Führungsformen auch im breiteren Rahmen einzusetzen.
Das ist in dieser Form eine glatte Lüge. Schon die StVO-Novelle von 1997 sah vor, dass eine Benutzungpflicht für einen Radweg nur in Ausnahmefällen angeordnet werden soll. Außerdem wurden klare Mindestanforderungen an benutzungspflichtige Radwege eingeführt. Beides hat die Stadt konsequent missachtet: Benutzungspflichten sind bei Leipzigs Radwegen die Regel, nicht die Ausnahme. Noch immer gibt es zahlreiche Radwege, welche die (2009 übrigens kaum geänderten) Mindestanforderungen VwV-StVO nicht erfüllen, zum Beispiel in der Prager Straße oder in der Merseburger oder oder oder. Teilweise wurden solche miese Radwege sogar neu gebaut, siehe Ranstädter Steinweg. Die Regelungen der StVO-Novelle von 1997 sind also mitnichten eingehalten wurden.
Es stimmt zwar, dass die StVO-Änderung im vergangenen Jahr mehr Auswahl bei den Führungsformen lässt, denn Radstreifen sind jetzt auch an vielbefahrenen Straßen erlaubt. Die Frage, ob eine Benutzungspflicht angeordnet werden darf, wird davon aber überhaupt nicht berührt – und in dieser Hinsicht hat sich mit der aktuellsten Änderung auch nichts geändert, denn auch den Grundsatz, dass Benutzungspflichten nur dort erlaubt sind, wo es eine besondere örtliche Gefahrenlage gibt, gab es schon 1997.
Deutlich wird, dass für den Oberbürgermeister Mischverkehr keine Führungsform für den Radverkehr ist – obwohl das laut StVO der Normalfall sein sollte.
Hinsichtlich der Radwegbenutzungspflicht kann ich Ihnen versichern, dass die systematische Überprüfung mit Unterstützung der Arbeitsgruppe Radverkehr, in der auch der ADFC mitarbeitet, zurzeit vorbereitet wird. … Erste Ergebnisse der Überprüfung könnten in Abhängigkeit von den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln mit der Beginn der Radfahrsaison 2010 wirksam werden.
Diese Äußerung ist schon nahezu unerträglich. Da ignoriert die Stadt mehr als zehn Jahre lang geltendes Recht und nimmt erst eine StVO-Änderung an anderen Punkten zum Anlass, endlich etwas zu tun – und braucht dann immer noch über ein Jahr, denn die StVO-Novelle kam im vergangenen September nicht vom Himmel gefallen, sie war lange vorher im Bundesrat diskutiert und angekündigt worden.
Auch beim Thema gemeinsame Geh- und Radwege sollte der Oberbürgermeister einen Blick in die geltende Verwaltungsvorschrift werfen.
Die Berücksichtigung der Interessen der Radfahrer erfolgt in Leipzig gleichberechtigt mit denen aller anderen Verkehrsteilnehmer und der Anlieger. Selbstverständlich ist jedoch das Ergebnis in einem Abwägungsprozess immer ein Kompromiss. Beispielsweise gibt es unter Beachtung der auch vom StuRa anerkannten Inhomogenität der radfahrenden Verkehrsteilnehmer durchaus auch Einsatzkriterien für gemeinsame Geh-/Radwege, so dass eine allgemeine Ablehnung dieser Führung nicht geteilt werden kann.
Denn laut VwV-StVO sollen (benutzungspflichtige) gemeinsame Geh- und Radwege innerorts möglichst nicht angeordnet werden. Sie sind gerade wegen der Inhomogenität der Radfahrer – sehr viele sind deutlich schneller als der Fußverkehr – ein enormes Ärgernis, und zwar für alle Verkehrsteilnehmer.
Noch ein Schmankerl:
Die Ausweisung des Promenadenringes mit Mindestgeschwindigkeit 40 km/h ist ein Relikt im Zusammenhang mit der gerätetechnischen Ausrüstung für dessen lichtzeichengeregelte Knotenpunkte. Die in den letzten Jahren erfolgte Nachrüstung der Gerätetechnik und Einbeziehung des Radverkehrs in die Signalisierung und Knotenpunktgestaltung erlaubt es inzwischen, diesen Sachverhalt auf den Prüfstand zu stellen und durch eine sichere Lösung für alle Verkehrsteilnehmer zu ersetzen.
Ach, und in Leipzig werden Relikte besonders gerne gehegt und gepflegt, auch wenn sie gegen geltendes Recht verstoßen? Auch die Mindestgeschwindigkeit auf dem Ring war schon vor 2009 rechtswidrig angeordnet, wenn auch nicht so offensichtlich rechtswidrig wie nach der letzten StVO-Änderung. Und nebenbei bemerkt: Räumzeiten auf Kreuzungen sind kein ausreichender Grund für Verkehrsbeschränkungen.
Nach all dem Spaß, bin ich mir nicht sicher, ob das folgenden Angebot etwas bringen kann:
Einige der angesprochenen Themen sind grundsätzlicher Natur, während andere Fragestellungen sehr detaillierte Themen betreffen. Auch hier wieder ohne einer Beantwortung Ihres Schreibens vom Oktober 2009 durch die Stadträte und Fraktionen vorgreifen zu wollen, möchte ich vorschlagen, das Thema “Radverkehr in Leipzig” mit all seinen Facetten im Gesamtkontext des Verkehrsgeschehens in Leipzig zu betrachten und an einem “Runden Tisch Verkehr” zu diskutieren. Eine solche Veranstaltung könnte im ersten Halbjahr 2010 durchgeführt werden.
Denn solange die Stadtverwaltung weiter die real vorhandene Straßenverkehrsordnung missachtet (oder von mir aus missversteht) und unter Radverkehrsförderung nur den Bau von Radwegen, wird mit denen nicht konstruktiv zu reden sein.
Mensch, wie ich koche…